Verpaßtes Jubiläum


Im Jahr 2010, am 23. September 2010, jährte sich zum 70. mal der Tag, an dem der allererste Jeep das Licht der Welt erblickte. Es war 1940, als in Butler/Pennsylvania der kleine Automobilhersteller American Bantam den Urahnen des legendären Jeep auf seine erste große Reise zum Militär schickte. Keiner der anderen, mehr als einhundert etablierten Fahrzeughersteller, die zuvor von der US-Army angeschrieben worden waren, hatte sich imstande gezeigt, einen eigenen Entwurf, geschweige denn ein fertiges Auto zu präsentieren - und das im Autoland USA.
Bantam hatte gerade mal 15 Angestellte. Um den Auftrag zu realisieren, mußte ein freier Ingenieur angeheuert werden. In der sensationell kurzen Zeit von 49 Tagen wurde das automobile Wunder vollbracht. Die beiden Mitbewerber Willys und Ford waren statt dessen an diesem Septembertag zwar ungemein neugierig, aber mit leeren Händen erschienen. Kurz darauf kupferten sie Bantams Vorlage ab.
Bantams Prototyp, der Bantam Pilot, bildete die Grundlage für mehrere Weiterentwicklungen, die im Frühjahr/Frühsommer 1941 in dem vereinheitlichten Typ Willys MB mündeten. Aus dem Rennen zum Bau des Jeep war Bantam zwar zunächst als Sieger hervorgegangen, wurde alsbald jedoch gänzlich um den Erfolg seiner Pioniertat und später auch um den Ruhm dafür gebracht. Der Name "Jeep" wurde bald nur noch mit dem Hersteller Willys verbunden. Neben den omnipräsenten Typen Willys MB und Ford GPW gingen die knapp 2500 produzierten Bantam-Jeeps im weltumspannenenden Kriegsgeschehen geradezu unter. Bantam baute nie wieder Autos und verschwand in den 50er Jahren.
Von Seiten der etablierten Automobilberichterstattung war 2010 zu dem denkwürdigen 70. Jahrestag des Jeeps nichts zu sehen, nichts zu lesen und nichts zu hören. Statt dessen wurde 2011, begleitet von einigem publizistischen Getöse, der '70. Geburtstag des Jeep' begangen. Etliche, die da mitfeierten, kennen die historische Wahrheit genau. Sie wissen, dass - wie nach Ablauf einer jeden Dekade zuvor - die Sektkorken stets ein Jahr zu spät knallen. Manche Autoren erwähnten die Bantam-Story immerhin. Und trotzdem vollführten sie die erstaunliche geistige Verrenkung, die Ahnenschaft für den Jeep einem anderen an's Blech zu heften. Auf diese Weise wurde wieder mal der Erste zum Verlierer gemacht und das falsch informierte Publikum durfte dazu jubeln. So verrückt kann die Welt des Automobils sein!
Einer der großen Berichterstatter hatte es sogar fertig gebracht, dem Jeep-Wrangler anzudichten, er würde seit 1941 gebaut, um an anderer, mit dem Stichwort "Jeep" leicht zu findender Stelle just einen alten Artikel aus dem eigenen Hause zu veröffentlichen – über die Testfahrten mit dem ersten Wrangler im Jahre 1986 (siehe: www.autobild.de/artikel/jeep-wrangler-auf-dem-autosalon-paris-2010-1237696.html und: www.autobild.de/klassik/artikel/jeep-wrangler-yj-1317929.html) . So etwas fördert zwar kein Vertrauen in den Fachjournalismus, sorgt aber dafür, dass bei der Lektüre wenigstens keiner einschläft.
Anders als es 2011 wieder eifrig voneinander abgeschrieben wurde, ist die Marke Jeep keine 70 Jahre alt. Willys-Overland erhielt die Rechte an dem Namen nach langen juristischen Auseinandersetzungen erst im Jahre 1950. Freilich produzierte die Firma seit 1945 die zivile Version ihres Kriegs-Modells MB den CJ. In dessen Blech war ein Willys-Schriftzug geprägt - nichts anderes. Ein 70-jährige "Markengeschichte" ergibt sich damit jedenfalls nicht. Insofern war es das eher beschämende Resultat einer von Werbeinteressen verkrümmten Arithmetik, dass 2011 ein neues Modell des Jeep-Wrangler zu einem angeblich 70. Jahrestag auf den Markt gebracht wurde. Es ist ein Jubiläum, dass es nicht gibt, jedenfalls nicht im Jahr 2011.
Neben dem Bantam wurde bezeichnenderweise sogar der im Dezember 1940 von Willys lancierte, eigene Prototyp namens Quad - also der erste Jeep aus dem Hause Willys - verschwiegen. Offenbar wird dieses übergewichtig geratene, ziemlich schamlose Plagiat des Bantam-Prototypen für wenig präsentabel gehalten. Kein Wunder, war doch darin kaum etwas an eigener Leistung eingeflossen und in den Tests scheiterte der Willys-Wagen kläglich gegenüber den Konkurrenten von Bantam und Ford. Genau dieses Scheitern wird seit sieben Jahrzehnten in unzähligen Artikeln anders herum erzählt und die Prototypen von Bantam und Ford beharrlich madig gemacht. Das einzige, womit Willys damals punktete, war ein leistungsstärkerer Motor. Nur war der ursprünglich, auch aus Gründen der Treibstoffökonomie, gar nicht gefordert sondern ein besonders sparsameres Modell. Die Folge war, dass hinter den Kulissen so lange an den Forderungskriterien geschraubt wurde, bis sie schließlich zu dem Fahrzeug passten, das Willys anbot.
Zweifellos entstand dann mit dem Willys MB die gelungene Essenz und Summe aus allen drei Entwürfen. Tatsache ist aber, daß es eben einen initiierenden Entwurf gab. Und der kam nicht von denen, die sich immer wieder dafür feiern lassen oder selbst feiern.
Wollte der heutige Markenbesitzer Chrysler 'seinen' ersten Jeep als den ersten Jeep präsentieren, müßte es folgerichtig ein Willys Quad vom Dezember 1940 sein. Da ist es doch von Vorteil, daß alle damals gebauten Exemplare des Willys-Prototypen seit langem verschollen sind.
Doch damit nicht genug. Es gäbe neben diesen und Bantams überarbeiteten Typen BRC 60 und BRC 40 einen weiteren Anwärter auf einen Platz vor dem nun wieder mal als "Urvater" gefeierten Willys MB. Allerdings kommt der nicht aus den USA.
Am 25. März 1941 stellte rund 600 Kilometer von Moskau entfernt der Hersteller GAZ in Nishni Nowgorod seinen ersten Vierteltonner-4x4 vor. Dieser Schöpfung stand die Inspiration vom Bantam-Prototypen förmlich ins Gesicht geschrieben. Dabei hatte der GAZ-Konstrukteur gerade mal ein paar Fotos von den Erprobungen des Bantam-Pilotfahrzeugs zur Verfügung. Trotzdem brachte er den Wagen namens GAZ R1 in knapp 50 Tagen auf die Räder. Zu dem Zeitpunkt war der angebliche "Urahn" Willys MB aus dem vorhandenen Jeep-Genpool noch lange nicht herausgemendelt. Aber, wo kämen wir dahin, wenn ein "Russe" auf den Jeep-Thron zu stellen wäre?! Diese - historisch korrekte - Alternative zur verfälschten Populärsaga verdeutlicht nur, mit welcher Torheit die ganze Angelegenheit, an allen Fakten vorbei, als automobilhistorisches Politikum gehandhabt wird.
Chrylser sind die angeblichen 70 Jahre Tradition vermutlich letztlich ziemlich Schnuppe. Vor mehreren Jahren ist die historische Produktionshalle des Willys MB in Toledo/Ohio abgerissen worden. En passant verschwand das ortsansässige Jeep-Museum. Selbst diese, in ihren Dimensionen recht bescheidene Einrichtung fiel dem Rotstift zum Opfer. Was sollen vor einem solchen Hintergrund die wohlfeilen Verweise auf jahrzehntelange Traditionen? Sie dienen dazu, den Kunden das Geld aus der Tasche zu ziehen. Dem entsprechend wartet das 'Jubiläums'- Modell von Jeep/Chrysler für 2011 mit historisierendem Schnickschack auf. In der Nähe des Haltegriffs für den Beifahrer prankt die Inschrift: “Jeep, Since 1941”. Dreister läßt es sich kaum zusammenflunkern. Da dieser Firlefanz mit zwei Schrauben fixiert ist, ließe er sich leicht entfernen. Wohlan, denn warum soll, wer mit einer unbestreitbaren Legende herumfährt, eine dreiste Werbelüge durch die Gegend chauffieren!?
Was ist ein Ruhm überhaupt wert, der vor allem deshalb schmückt, weil die Pionierleistung anderer seit Jahrzehnten marginalisiert wird?
Jedes Ding hat nur einen Geburtstag. Der Geburtstag des Vierteltonner Allradlers, später als 'Jeep' weltbekannt geworden, ist jener 23. September 1940, der Tag des öffentlichen Erscheinens vom Bantam Pilot. Es wäre schön, die Nachgeborenen würden sein Andenken in Ehren halten. Sie haben ihm viel zu verdanken.
Gute Fahrt, abseits und auf der Straße, mit wachen Augen für Geschichte und Gegenwart wünscht das Geländewagenmuseum.